
Wie der Fuchs die Plätzchen rettet
Langsam und so leicht wie Federn gingen an diesem Morgen weiße Flocken vor Rotkehlchens Baumloch zu Boden. Aus halbgeschlossenen Lidern und herzhaft gähnend schaute es dem stillen Treiben zu. Draußen lag eine dicke weiße Schicht über den Wegen und Sträuchern. Drinnen drückte sich der kleine Vogel behaglich in das Stroh am Boden seines Nestes. Kein Laut war zu hören. Dann knurrte sein Magen.
Wäre das wunderbar, wenn in der Borke noch Maden und Käfer zu picken wären, wenn zwischen den Zweigen des Nestes noch Kekse oder wenigstens Brotkrümel hingen! Da erklang vor dem Baum ein schriller Pfiff. „He, Rotkehlchen!“, rief sein Freund der Igel. „Kommst du mit zum Frühstück an der Nachrichteneiche? Das Wildschwein hat gesagt, dort gäbe es was für Leckermäulchen wie uns.“ Rotkehlchen riss die Augen auf. Das kam ja wie gerufen! Mit geschwellter Brust stand es auf, schüttelte das Stroh aus den Federn, schwang sich im Nu in die kalte Morgenluft und drehte eine Runde über die Tannenwipfel zum Aufwärmen, bevor es über dem Waldweg Igel folgte. Tapsend und flatternd erreichten die beiden nach kurzer Zeit die Lichtung in der Mitte des Waldes, an der sich die Tiere schon um die majestätische Eiche scharrten.
Ein vielstimmiges Gemurmel empfing sie beim Näherkommen. Wie es aussah, hing ein langer Brief am Baum. Der Waschbär strich ihn gerade noch glatt, er hatte ihn wohl frisch aus der Eulenpost geholt. Er bekam öfter solche Briefe von seinen Kindern, die in der Stadt lebten, und las dann daraus vor. Die Tiere des Waldes fieberten immer schon dem nächsten Brief entgegen, um zu erfahren, was die Waschbärkinder für Abenteuer erlebten. So hatten die Waldtiere gespannt die Geschichte verfolgt, in der die jungen Waschbären eine neue Art von Futtertrögen ausgekundschaftet hatten, die einmal pro Woche an den Straßenrändern standen. Durch die Briefe wussten sie auch, dass man in der Stadt keine Sterne sehen konnte, es nachts aber trotzdem hell war, weil dort in jeder Straße künstliche Sterne auf Stämmen thronten. Und von ihren Nachbarn, den Ratten, die sich tagsüber hinter einem Restaurant aufhielten, hatten die jungen Waschbären immer wieder köstliche Rezepte bekommen und an die Waldtiere weitergegeben. Immer, wenn der Schnee wiederkam, waren die Rezepte besonders lecker gewesen und wie gemacht für kleine Schleckermäuler, von denen sich einige unter den Waldbewohnern befanden.
Aus dem Stimmengewirr schälte sich ein lauter Ausruf: „Das kann doch niemand lesen!“ Das Kaninchen rieb sich schon die Augen. „So eine Gemeinheit!“, schniefte das Eichhörnchen-Kind und hielt sich das Bäuchlein. „Wir haben uns alle so auf die ein neues Rezept gefreut und dann das!“, entrüstete sich der Platzhirsch mit tropfendem Zahn. Rotkehlchen setzte sich auf sein Geweih und las die Überschrift:
Waldplätzchen

Sie konnten es beim besten Willen nicht entziffern. Was unter der vielversprechenden Überschrift stand, entging ihnen. Sie waren genervt. Und enttäuscht. Zum Glück kommt als nächstes ein Bild. Oder auch nicht…

Für die Entzifferung des nun darauf Folgenden, trat der ehrwürdige Mylord Diggi von Dachshausen trotz der ihn seit diesem Morgen bedrückenden Malaise, vor, um der ganzen Mischpoke einen Gefallen zu erweisen, indem er sein Monokel zückte und sich selbst ans Werk machte, den geheimnisvollen Brief zu lesen.
Heller Text auf hellem Hintergrund ist nicht lesbar!
Waaaasssss? Der Hase schaute sich verständnislos in der Runde um.
Hinter der Eiche kam gemächlich der Fuchs hervor getrottet. „Braucht ihr Hilfe?“, fragte er lieb. Als die Tiere in zustimmenden Jubel ausbrachen, löste er vorsichtig den Brief vom Baum und nahm ihn mit in sein Laboratorium.
Schon nach kurzer Zeit, die anderen Tiere hatten noch nicht einmal ihren Austausch über die Morgennachrichten beendet, kam er zurück und rollte den Brief erneut aus.
„Leeeckerrrr!“, riefen das Eichhörnchenkind und der Hase wie aus einem Mund.
Text: Josephine Ziegler